«Das Stedtli ist tot», sagt ein Bewohner, der schon lange hier wohnt und auch noch weiss, wie es früher einmal war. Heute gebe es nur noch vereinzelte Hochzeiten und manchmal Anlässe im Restaurant Bären, aber sonst nichts. Damit wieder Leben ins Stedtli komme, unterstütze er jeden, der etwas machen wolle. «Toll finde ich beispielsweise die szenischen Stedtli-Rundgänge, auch wenn sie manchmal direkt vor unserem Haus stehen», sagt der Bewohner, der lieber nicht mit Namen genannt werden möchte. Ganz so einfach ist es nämlich nicht. Die Stedtli-Bewohnerinnen und Bewohner sind schon länger nicht mehr die verschworene Gemeinschaft, die damals mit vielen medienwirksamen Aktionen für die Umfahrung geworben hat. Gerade wenn es um die Belebung des Stedtli geht, könnten die Meinungen nicht unterschiedlicher sein. Während die einen sich mehr touristische Nutzung und Anlässe wünschen, möchten andere lieber weniger als mehr und vor allem ihre Ruhe haben.
Wie soll ein verkehrsfreies Stedtli aussehen?

Keinen «Ballenberg» kreieren
Sicher ist: Eine Umfahrung wird von allen gewünscht und würde die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner im Stedtli massiv steigern. «Wenn der Verkehr nicht mehr durchs Stedtli donnert, werden wir die Ruhe geniessen, wieder mehr draussen sitzen, mit Nachbarn plaudern und spontan etwas zusammen trinken», sagt eine Bewohnerin, die ebenfalls nicht namentlich genannt werden möchte. Momentan könnten sie nur Gespräche führen, wenn die Ampel umschalte. Ohne Verkehr müssten auch die Fenster weniger oft geputzt werden, die momentan von schwarzem Feinstaub strotzen. «Wir stören uns nicht an Tourismus-Aktivitäten wie Stedtli Rundgängen oder Nachtwächterführungen. Wir wollen aber keine künstliche Stedtli-Idylle, wie zum Beispiel ein Töpfer-Lädeli oder Ähnliches.» Der Idee, Handwerker im Stedtli anzusiedeln, steht die Frau skeptisch gegenüber. Man sollte Leben ins Stedtli bringen und keinen «Ballenberg» kreieren. Wichtig sei der Erhalt oder besser die Steigerung der Lebensqualität für Familien oder auch das Wohnen im Alter. Nach Meinung der Befragten sollten deshalb auch bauliche Massnahmen wie Rampen oder ein Lift an oder in denkmalgeschützten Häusern möglich sein.
Das Schloss touristisch nutzen
Was von den meisten gewünscht wird, ist ein hübsches Café, die Wiederbelebung des Wochenmarkts oder auch wieder vermehrt kleine Läden. Das könnten Delikatessen sein oder auch eine Gelateria, ist man sich einig. Und auch darüber, dass ein Lädeli am besten von jemandem betrieben werden sollte, der im Haus wohne, so wie das mit der Wy-Galerie eindrücklich funktioniere. «Meiner Meinung nach müsste das Stedtli aufgehübscht werden, auch mit einer besseren Beleuchtung. Und der Chratzplatz sollte zu einem Event-Platz werden, wie jeweils an den Märkten», sagt ein anderer.
Für die touristische Nutzung des Schlosses müsste das Schloss Café mehr als nur am Sonntag geöffnet haben und das Museum müsste grösser und moderner gestaltet werden. Anders sieht das allerdings eine weitere Stedtli-Bewohnerin. «Das Schloss hat man so überrenoviert, dass es meiner Meinung nach keinen historischen Wert mehr hat. Was soll man denn im Schloss anschauen?» Sie ist überzeugt, dass sich das Stedtli beleben wird, sobald die Umfahrung einmal da ist. Doch abwarten geht nicht, der Kanton möchte kein «Schlaf-Stedtli» umfahren und verlangt deshalb ein Konzept.
Tourismus-Analyse von Hochschule
Auf Initiative von Gemeinderätin Susanne Gutknecht befasste sich in der letzten Septemberwoche eine Gruppe von 16 Studierenden der Höheren Fachschule für Tourismus & Management Samedan (hftgr) mit dem touristischen Angebot in Grüningen und präsentierte die Ergebnisse einem interessierten Publikum.
In ihrer Analyse als Familiendestination kamen sie zu folgendem Schluss: Trotz vorhandenen familienfreundlichen Angeboten wie dem Grüninger Kinderweg werde Grüningen ausserhalb der Region kaum wahrgenommen, das Image als familienfreundliches Ausflugsziel sei noch schwach und es fehlten strategische Kooperationen mit regionalen Partnern. Dass die Studierenden in ihrer Analyse allerdings mangelnde Winteraktivitäten verorten, erstaunt, da die weit über die Dorfgrenzen hinaus bekannte Schloss-Eisbahn während drei Wintermonaten so viele Kinder und Familien anzieht wie kaum je im Sommer.

Kooperationen nötig
Die Schlussfolgerung der Studierenden: Es braucht Kooperationen, eine verbesserte Kommunikation, eine Rubrik für Familienangebote auf der Website von Grüningen, die Erweiterung der Social- Media-Inhalte und das Einholen von Gästefeedbacks. Betreffend Schloss notierten die Studierenden: «Die Analysen zeigen, dass sich das Schlossmuseum Grüningen durch seine kleine Grösse und historische Lage gut auf dem Museumsmarkt positionieren kann. Kleine Grösse, Naherholung für Einheimische und ein angrenzendes historisches Dorf. Das Schlossmuseum, in Kombination mit dem Dorf Grüningen, ist sowohl unter der Woche als auch am Wochenende ein attraktives Ausflugsziel für Schulklassen und Familien aus der näheren Umgebung. Es braucht jedoch eine Anpassung der Öffnungszeiten und eine verbesserte Beschriftung der Ausstellungsstücke. Mit den richtigen Investitionen hat das Museum grosse Chancen, eine treue Besucherschaft aufzubauen – sei es durch Schulklassen unter der Woche oder Familien am Wochenende.»
Seminarangebot unter der Lupe
Die Studierenden konnten feststellen, dass trotz bereits ausgeführten Werbemassnahmen die Auslastung der Seminarräume im Schloss nur moderat steigt. Sie nahmen darum die bestehende Situation genau unter die Lupe. Das bestehende Angebot des Schlosses wurde mittels einer SWOT-Analyse abgebildet, eine Konkurrenz- und eine Zielgruppenanalyse durchgeführt und die Preise mit anderen verglichen. Wenig erstaunlich kamen die Studierenden zum Schluss, dass das Angebot in der Hotellerie und Gastronomie bei der Wahl von Seminarräumlichkeiten essenziell ist und hier noch einiges Potenzial besteht. Ihr Fazit: Es braucht Kooperation mit lokalen Betrieben und eine genaue Zielgruppenanalyse. Für Gemeinderätin Susanne Gutknecht ist die Analyse eine gute Aussensicht auf das touristische Angebot. «Wir haben bewusst klein begonnen mit einzelnen Schritten. Jetzt ist jedoch der richtige Zeitpunkt, die Erkenntnisse zusammenzufassen und strukturierter vorzugehen. Mit diesen Studienergebnissen haben wir eine gute Basis und Analyse erhalten.» Laut Gutknecht werden die Studierenden jetzt bis Ende November ihre Erkenntnisse noch weiter ausarbeiten, was dann ein gutes Gesamtbild ergebe – auch mit Einbezug der Schloss-Eisbahn.
Es müssen alle an einem Strick ziehen
Ein Kommentar von Martina Gradmann
Wenn Aussenstehende die touristischen Angebote von Grüningen analysieren, bekomme man eine neutrale Aussensicht, sagt Gemeinderätin Susanne Gutknecht zur Bestandsaufnahme der Studierenden. Jetzt haben wir es also schwarz auf weiss, was wir schon lange wussten. Denn seien wir ehrlich, viel Neues ist dabei nicht herausgekommen. Fehlende Kooperationen, mangelnde Sichtbarkeit und das ungenügende Nutzen von Web und Social Media war jedem, der sich ein bisschen mit Marketing beschäftigt, schon lange klar. Auch, dass im Schloss gastronomische und Übernachtungsmöglichkeiten fehlen, ist nicht neu. Das Seminarangebot kann mit der Konkurrenz einfach nicht mithalten. Alles nichts Neues, doch wurde es jetzt erstmals schriftlich festgehalten und gibt den Verantwortlichen hoffentlich Denkanstösse.
Was mich jedoch bei dieser Analyse sehr irritiert, ist die Aussage der «mangelnden Winterangebote». Wie bitte? Seit 2017 gibt es im Schlosshof die Schloss-Eisbahn, die unzählige Familien und Kinder von weither anzieht. Der Verein Schloss-Eisbahn arbeitet seit mittlerweile acht Jahren daran, Familien, Schulen und Eislaufbegeisterten ein tolles Wintererlebnis zu ermöglichen, und konnte dabei auch immer auf den Goodwill der Gemeinde zählen. Gerade im Winter sind das Stedtli und das Schloss durch die Schloss-Eisbahn so gut besucht wie kaum je im Sommer. Der Verein betreibt ein professionelles Marketing, hat Kooperationen mit der VZO, VVZ, diversen Tourismusorganisationen und ist in den sozialen Medien sehr präsent. Wieso wurde das also in der Analyse nicht erwähnt? Hat es damit zu tun, dass die Schloss-Eisbahn ein Verein ist und nicht unter dem Dach von Tourismus Grüningen steht? Doch genau das braucht es jetzt! Es braucht die Zusammenarbeit der Gemeinde mit den verschiedenen Anbietern im Dorf. Denn nur wenn alle an einem Strick ziehen und zusammenarbeiten, kann die Belebung des Stedtli funktionieren, wie vom Kanton gefordert. Szenische Stedtli Rundgänge, Stedtli-Führungen, kultsichtig, grüningensessions, Schloss-Eisbahn und weitere müssen an einen Tisch, sich vernetzen, Synergien nutzen und unter dem Dach von Tourismus Grüningen laufen. Und dazu braucht es auch Profis, die mit Marketing vertraut sind, sonst macht man immer ein bisschen und doch nichts Rechtes. Das hat die Analyse gezeigt.