Sage und schreibe 200 Stimmberechtigte fanden sich gestern in der Turnhalle Geissberg in Wolfhausen ein. Viele von ihnen wohl nicht nur wegen des Budgets, sondern vor allem wegen der Stammgleis-Initiative gekommen. Diese wurde dann auch spät abends mit 101 zu 85 Stimmen angenommen, obwohl der Gemeinderat diese zur Ablehnung empfohlen hat. «Selbstverständlich akzeptieren wir diesen Entscheid der Stimmbevölkerung», sagt Gemeindepräsidentin Andrea Keller heute auf Anfrage. Man habe noch versucht, auf diverse Punkte wie den Ausbau des Industriegebietes in Wolfhausen aufmerksam zu machen, doch das habe niemand hören wollen.
«Der Angriff auf die Schulthess war grenzwertig»
Emotionale und gehässige Diskussion
Zur Stammgleis-Initiative habe es mehrere sehr ausführliche Statements gegeben, die teilweise abgekürzt werden mussten, erzählt ein Bubikoner, der die Gemeindeversammlung gestern mitverfolgte. Und als Gemeindepräsidentin Andrea Keller den Antrag stellte, dem CEO der Schulthess AG Thomas Marder das Wort zu erteilen, sei das nicht nur gut angekommen. «Die drei Schulthess-Vertreter mussten sich viel von den Anwesenden gefallen lassen», sagt Keller dazu. Das seien sehr viele Seitenhiebe gewesen, für die sie sich geschämt habe.
Sie wolle jetzt nochmals mit den Schulthess-Vertretern Rücksprache nehmen, dazu fühle sie sich als Gemeindepräsidentin verpflichtet. Keller betont zudem, dass die Gemeinde nie in Verhandlungen mit der Schulthess AG gestanden und auch nie irgendwelche Verträge ausgehandelt habe.
"Schlecht verkauft"
Die Schulthess-Vertreter hätten sich schlecht verkauft, sagt dagegen der Bubiker, der nicht mit Namen genannt werden möchte. «Hätte die Schulthess im Vorfeld das Gespräch mit der IG Stammgleis gesucht, wäre es vielleicht anders gekommen. Auch ich habe mich am Schluss umstimmen lassen und für die Initiative gestimmt, obwohl mir natürlich klar ist, dass die Schulthess AG eine wichtige Steuerzahlerin und Arbeitgeberin für die Gemeinde ist.»
Von der Schulthess AG konnte Zürioberland24 bis jetzt keine Stellungnahme bekommen.
Ein langer, schwieriger Weg
2013 stimmte die Bubiker Gemeindeversammlung der Streichung aus dem Richtplan zu. Die Gemeinde Bubikon wollte das Stammgleis verkaufen. Dagegen regte sich jedoch Widerstand. Für die IG Stammgleis Bubikon-Wolfhausen sind die Gleise ein wichtiger und noch intakter Zeuge der Industrie- und Bahnkultur in der Gemeinde Bubikon des 20. Jahrhunderts. Das wertvolle Kulturgut soll in seiner Gesamtheit erhalten bleiben.
Im Sommer 2020 reichten drei Bubiker Stimmberechtigte eine Einzelinitiative zum Wiedereintrag des Stammgleises in den kommunalen Richtplan ein. Die Gemeinde wies die Initiative zurück und erklärte auch die eingereichte überarbeitete Version für ungültig. Der Bezirksrat Hinwil hiess im Februar 2021 den Stimmrechtsrekurs von privaten Stimmbürgern aus Bubikon gegen die Ungültigerklärung zum grössten Teil gut.
In Folge wurde eine Petition eingereicht, welche für gültig erklärt wurde. Am 15. Dezember 2021 nun kam es zur Abstimmung.
Über das Bubiker Stammgleis
Das Bahngleis vom Ritterhaus Bubikon bis zur Kreuzung mit der Oberwolfhauserstrasse in Wolfhausen (Gemeinde Bubikon) ist das letzte Teilstück des ehemaligen Stammgleises der Uerikon-Bauma-Bahn (1901-1948), welches zusammen mit dem Bahnhofgebäude in Wolfhausen als ganze Anlage erhalten geblieben ist. Erbaut wurde es wie auch die weltberühmte Jungfraubahn, vom Zürcher Oberländer Industrie- und Bahnpionier Adolf Guyer-Zeller. Es ist die einzige, derart erhaltene Bahnanlage im Kanton Zürich.
Die Gemeinde Bubikon hatte das Gleis 1999 vom Busbetrieb VZO übernommen, mit der Absicht, darauf Güterverkehr abzuwickeln und es als kulturhistorisches Objekt zu erhalten. Jahrzehntelang fanden im Auftrag der Gemeinde Bubikon verschiedene Fahrten statt, u.a. zum Frühlingsmarkt in Wolfhausen oder zum Weihnachtsmarkt im Bubiker Ritterhaus.