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Freizeit
20.06.2025

«Bühne frei, hier fahre ich»

Bild: ZO24
Heute richte ich meinen Blick auf die Bühne, die sich jeden Morgen vor mir auftut: den Strassenverkehr. Ein Stück voller Dramen, kleinen Gesten – und fragwürdiger Regie.

Ich mag Autofahren. Ehrlich. Vor allem, wenn ich allein unterwegs bin. Meine Musik, meine Zeit, meine Strassen. Fast wie meine eigene kleine Bühne. Die sich schnell in ein chaotisches Schauspiel verwandelt. Willkommen im morgendlichen Strassenverkehr – dem täglichen Drama, bei dem jeder die Hauptrolle spielt.

Der Schauplatz ist riesig, das Publikum mässig motiviert und jeder ist davon überzeugt, dass er der Star des Geschehens ist. Künstlerische Freiheit ist zwar nicht gefragt, und doch mag man sich nicht so recht ans Drehbuch halten. Die Geschwindigkeit wird frei gewählt, die Instastory gibt’s während der Fahrt und die Vortrittsregeln werden als «De Schnäller isch de Gschwinder» interpretiert.

Regieanweisung? Fehlanzeige. Während Verkehrsschilder und Ampeln eigentlich als Regisseure agieren sollten, werden diese von den Mitwirkenden oft frei interpretiert – als unverbindliche Vorschläge oder gar als reine Dekoration. Und dann gibt’s da noch die Statisten, die orientierungslos über den Zebrastreifen schlurfen.

Auch ich sehe mich als Teil dieser Inszenierung. Meine Rolle? Die «undankbare Dankbare»  – eine Figur mit Hang zur Überkorrektheit, was die Vortrittsregeln betrifft. Diese sind für mich keine Empfehlung, sondern heiliger Text. Meine unliebsame Szene: Die 30er-Zonen, die Hochkonjunktur haben. Sie wirken wie Bühnenbilder, die jemand mit Requisiten überladen hat – ein Slalomparcours aus Hindernissen, Bodenschwellen und optischen Täuschungen. Warum das alles? Angeblich, um den Strassenlärm zu verringern. Ein ehrenwerter Gedanke – doch während ich Szene für Szene abbremsen und wieder anfahren muss, hadere ich innerlich mit dem Stück.

Nun gut, ich kenne die Regeln und überlasse geduldig den Vortritt. Ich erwarte keine Standing Ovation, doch was mir oft fehlt, ist die Improvisation. Ein kurzes Handzeichen, ein Nicken, ein schlichtes Zeichen der Wertschätzung, ein kleiner Applaus im Vorbeifahren. Es würde dafür sorgen, dass aus diesem täglichen Theater ein gelungener Bühnenauftritt wird – mit mehr Miteinander und vielleicht sogar einem Lächeln im Abgang. Vorhang zu. Bis morgen, gleiche Zeit, gleiche Strasse. Hach - ich freue mich!

Isabella Schüzt