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Gast-Kommentar
Grüningen
29.11.2024

Stedtli–Belebung–eine Replik der IG Stedtli

Ein Freiraumkonzept soll aufzeigen, wie das Stedtli künftig genutzt werden soll.
Ein Freiraumkonzept soll aufzeigen, wie das Stedtli künftig genutzt werden soll. Bild: mg
Zur letzten Ausgabe der Grüninger Post und zum Thema der Belebung des Stedtli äussert sich die Interessengemeinschaft IG Stedtli.

Damals im Zuge der Industrialisierung liess der junge Kanton Zürich 1844 die Stedtlimauern abbrechen und einen Damm aufschütten mit dem Ziel, neue, gut ausgebaute Verkehrswege im Zürcher Oberland zu schaffen. Für die Gemein- de Grüningen war diese Entwicklung eine Chance, am Fortschritt (oder am Fortschrittsglauben) teil- zuhaben und nicht in die Bedeutungslosigkeit abzusinken.

Mit dem Bau der Wetzikon-Meilen-Bahn wurde der Anschluss an das erhoffte «pulsierende Leben» sogar garantiert. Vermutlich lief für die Bewohnerinnen und Bewohner von Grüningen über einige Generationen alles prima: Läden, hohe Wohndichte in den Häusern und vielfältiges Handwerk. Das Stedtli galt als kleines Zentrum für umliegende Gemeinden. Alles in allem ein blühender, lebenswerter Ort.

Wer hätte sich damals träumen lassen, dass dieser Strassenbau fast 200 Jahre später durch den rasanten technischen Fortschritt zum «Corpus Delicti» würde! Sinnbildlich für den Wandel schuf das Automobil in Kürze eine neue Realität, die das Leben im Stedtli völlig auf den Kopf stellte. Mobil wurde alles, und wer nicht mobil war, hatte verloren. Die Handwerksbetriebe verliessen das Stedtli und das «Lädelisterben» begann. Heute hat das Stedtli nebst den Restaurants nur noch ganz wenig Betriebe. Alle anderen Gewerberäume wurden umgenutzt.

Damals konnte sich wohl niemand vorstellen, dass «die Geister», die gerufen wurden, jetzt die Stedtlimauern und das lebendige Stedtli in ihren Grundfesten erschüttern und kaputt machen.

Nun soll das Stedtli verkehrsfrei werden, damit die historische und schützenswerte Substanz der Häuser für die Zukunft erhalten werden kann. So wie vor gut 200 Jahren erhoffen wir uns bei dieser Massnahme einen Mehrwert für die Bevölkerung von Grüningen und das Leben im Stedtli. Wenn der Verkehr verstummt, wird es im Stedtli still – fast totenstill. Nur die historische Kulisse wird noch vom regen Leben von damals zeugen. Deshalb fordert der Kanton unsere Gemeinde auf, ein Freiraumkonzept zu erarbeiten.

Einfacher gesagt als getan. Denn die Umsetzung ist sehr komplex und unterscheidet sich von früher grundlegend. Stand damals allein der wirtschaftliche Fortschritt im Fokus, gehen die heutigen Vorstellungen darüber, wie ein lebenswertes Stedtli auszusehen hat und worin ein lebenswertes Stedtli besteht, ziemlich auseinander. Da wird ein ruhiger, beschaulicher, wohn- und kinderfreundlicher, pulsierender, touristisch attraktiver und für das Gewerbe idealer Lebensraum favorisiert – ganz nach dem Motto der eierlegenden Wollmilchsau.

Das Stedtli soll Besuchende anziehen, z. B. als Zentrum des Handwerks, aber bitte nicht «à la Ballenberg». Oder das Gewerbe und die Märkte sollen florieren mit Restauration auf den Plätzen mit Tanzen und Lachen, aber bitte abends ohne Trinkseligkeit, sodass ruhig geschlafen werden kann. Und Kinder sollen in den Gassen unbeschwert und sicher spielen, aber mit dem eigenen Auto will man dann doch jederzeit freie Fahrt vor das eigene Haus haben.

Einzig ein gut austariertes Mass zwischen den Aktivitäten und der Betriebsamkeit einerseits und der Wohnqualität der Bewohnerinnen und Bewohner andererseits wird ein lebenswertes und belebtes Stedtli möglich machen. Und dieses gut gerüttelte Mass an Ausgewogenheit wird uns noch einiges an Hirnschweiss kosten. Wir versprechen uns viel von dem doch recht kostspieligen Konzept, das der Gemeinderat in Auftrag gibt. Die Messlatte liegt hoch. Und hoffentlich wird nicht ein Papiertiger geboren, der nach der Veröffentlichung der Studie wieder in irgendeinem Schrank eingesperrt wird.

Beat Hofmann, Präsident IG Stedtli