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13.06.2021
30.11.2021 14:08 Uhr

Gehen den Gemeinden die Leute aus?

GPVZH-Kampagne will Milizpolitiker*innen gewinnen
GPVZH-Kampagne will Milizpolitiker*innen gewinnen Bild: GPVZH
Der Verband der Gemeindepräsidenten des Kantons Zürich hat eine neue Kampagne lanciert, welche die Bevölkerung für eine Miliztätigkeit gewinnen will.

Erst vor wenigen Wochen hat der Verein Zürcher Gemeindeschreiber (VZGV) eine Image-Kampagne gestartet, welche die umfangreichen Services der Gemeinden in den Vordergrund stellen sollte (Zürioberland24 berichtete). Nun startete letzte Woche der Verband der Gemeindepräsidenten des Kantons Zürich (GPVZH) mit einer Kampagne zum Thema Miliztätigkeit.

Kandidat*innen für kommunale Wahlen 2022 gesucht

Bei den kommunalen Wahlen im nächsten Jahr braucht es wieder engagierte Kandidatinnen und Kandidaten. Menschen, die sich für "ihre" Gemeinde einsetzen wollen. Denn offenbar stellen sich immer weniger Menschen für eine Kandidatur zur Verfügung. Die GPVZH-Kampagne "Deine Gemeinde braucht dich" will darum die Leute motivieren, sich für ein Amt zu engagieren.

Geld verdienen sollte nicht an erster Stelle stehen

Auf der eigens für die Kampagne lancierte Website www.deine-gemeinde-braucht-dich.ch wird erklärt, was es dafür braucht, was eine Behördentätigkeit ist – und was nicht. Die Anforderungen sind eigentlich gar nicht so hoch: Neben einer abgeschlossenen Erstausbildung oder einem Studium und einem Alter von mindestens 18 Jahren, braucht es vor allem die Bereitschaft, sich aktiv einzubringen, und ein grosses Interesse, Neues zu lernen. Je nach Amt brauche es zwischen 10 bis 30 Stunden pro Woche.

Das Geld sollte dabei nicht im Vordergrund stehen: «Die Motivation, Geld zu verdienen, solle nicht an erster Stelle stehen», ist auf der Website zu lesen. Die Milizarbeit bringe andere Vorteile, beispielsweise neue Kontakte und eine gute Vernetzung mit Menschen und Firmen, die auch Sprungbrtt für die berufliche Karriere sein können. Die Entschädigung erfolge gemäss Verordnung, die dann auch eine Reduktion des beruflichen Pensums erlaube.

Milizsystem - ein Auslaufmodell?

Das Milizsystem, wo ganz "normale" Bürgerinnen und Bürger staatspolitische Verantwortung übernehmen, ist ein wichtiger Grundpfeiler der Schweizer Politik. Doch wie lange funktioniert dieses System noch?

So wie die meisten Vereine es zunehmend schwer haben, Mitglieder oder Freiwillige für den Vorstand zu gewinnen, so kämpfen auch die Gemeinden mit den Entwicklungen in der Gesellschaft: Immer mehr Menschen sind beruflich so stark gefordert, dass kaum Zeit oder Energie bleibt, sich noch anderweitig in der Gemeinde zu engagieren - geschweige denn in einem öffentlichen Amt. Man fürchtet die Zusatzbelastung, die auch in die Familie greifen kann.

Die Kampagne und ihre Sujets kann man mögen oder nicht. Doch hinter den lächelnden Cartoon-Gesichtern sticht wohl eines deutlich hervor: Die Gemeinden, mal von den grösseren Städten abgesehen, finden kaum mehr Freiwillige.

Miliztätigkeit braucht Mut

Allen, die sich für das Gemeinwohl engagieren, gebührt Respekt und Anerkennung. Denn mit den zusätzlichen Aufgaben steigt nicht nur das Arbeitsvolumen, sondern auch der Druck, in der Öffentlichkeit zu stehen – und mit Kritik umgehen zu können. Neben Fachkompetenz erwartet man von den "Laienpolitiker*innen" fast schon übermenschliches: Führungsstärke, Sozialkompetenz, Selbstlosigkeit, Fairness und stets ein offenes Ohr für alle. Und natürlich einen allzeit souveränen medialen Auftritt. Dass dies nicht allen Menschen in die Wiege gefallen ist und gewisse Eigenschaften auch nicht mit einer Aus- oder Weiterbildung auf die Schnelle gelernt werden können, liegt auf der Hand. Die politische Laufbahn scheint vielmehr ein Lernprozess, zu dem er oder sie bereit sein muss. Jeden Tag aufs Neue. Wie in der Privatwirtschaft, findet man Menschen mit all diesen Fähigkeiten nicht an jeder Ecke.

Sofa-Politiker/innen vor!

Eine Komponente bzw. geforderte Fähigkeit ist in den vergangenen Jahren wohl noch dazu gekommen: Der Umgang mit den sozialen Medien. So viele Vorteile die sozialen Medien für das politische Engagement haben mögen, einfach ist der Umgang mit ihnen nicht. Liest man die teilweise unterirdischen Kommentare und Beleidigungen darin, ist nur verständlich, wenn ein Politiker oder eine Politikerin die Contenance verliert. Oder man sich zwei Mal überlegt, sich für eine Miliztätigkeit zur Verfügung zu stellen. Da braucht's nicht nur Media-Know-how, sondern auch eine dicke Haut.

Es ist so einfach, vom bequemen Sofa aus über die Arbeit anderer zu urteilen. Mit ein paar Daumenbewegungen am Smartphone lässt sich der Unmut in Sekundenschnelle raushauen. Doch bewegt wird damit nicht wirklich viel. Schön wäre, sie würden sich statt der negativen Kommentare und der Missmut darüber, was alles nicht rund läuft, von der bequemen Couch erheben und sich für ein Amt zur Verfügung stellen. Um aktiv mitzuwirken und es besser zu machen.

Dem GPVZH und allen Gemeinden ist zu wünschen, dass ihre aktuelle Kampagne ein Erfolg wird und sich auch in Zukunft genügend fähige Menschen fürs Gemeinwohl einsetzen für alle jene, die es nicht können oder nicht wollen.

Barbara Tudor