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Bezirk Uster
17.09.2023
18.09.2023 21:41 Uhr

Ein Himmelreich für einen Schwamm

Rund 9'000 Läuferinnen und Läufer nahmen am diesjährigen Greifenseelauf teil.
Rund 9'000 Läuferinnen und Läufer nahmen am diesjährigen Greifenseelauf teil. Bild: Thomas Renggli
Der 44. Greifenseelauf bewegte die Massen – und er trieb bei hochsommerlichen Temperaturen so manchen Läufer an seine Grenzen. Ein hitziger Selbstversuch.

Die meisten Sportjournalisten sind – das liegt in der Natur der Sache – verhinderte Spitzensportler. Ihre Karrieren enden als Nummer 12 einer Fussballmannschaft, in der unteren Ranglistenhälfte eines Schülerskirennens oder auf halbem Weg zum anderen Bassinrand. Manche fallen auch vom Pferd. Sportjournalisten schreiben über Dinge, die sie lieber selber tun würden. Weil dabei aber das Selbstwertgefühl auf der Strecke bleiben kann, gibt es Volksläufe. Sie wurden erfunden, damit auch Sportjournalisten ihre Heldentaten vollbringen und darüber schreiben können.

Geeignete Übungsanlage

Eine besonders geeignete Übungsanlage ist der Greifenseelauf. Er führt durch eine wunderbare Natur, ist verkehrstechnisch optimal erschlossen und hat eine Distanz (21,0975 Kilometer), die nicht die Vorbereitung auf die Tour de France oder auf den 100-Kilometer-Lauf von Biel nötig macht. Vor allem findet er jeweils Mitte September statt, wenn die Temperaturen angenehm und die Bedingungen für eine sportlich-meditative Seeumrundung optimal sind. Scheinbar.

Sonne brannte unbarmherzig

Am Samstag war dies nicht so – und nicht mal mit viel bösem Willen kann man das Schweizer Fernsehen verantwortlich machen, dass es die Temperaturen frisiert habe. Die Sonne brannte mit unbarmherziger Kraft vom frühherbstlichen Himmel, der Asphalt schien zu glühen wie in den Strassen von Barcelona im Juli, und die Luft war so heiss und feucht, dass man sie in Scheiben hätte schneiden können.

Den Aufgalopp machten Kinder und Eltern – in der Familienkategorie. Was nach generationenübergreifender Harmonie und familienidyllischem Sportplausch tönt, ist nicht immer so. Weil es auch den Kindern etwas gar heiss war, weigerten sich einige, loszurennen. Der kleine Justin wurde von seinem Vater mit mehr oder weniger überzeugenden Argumenten motiviert: «Im Ziel git's e Medaille.» Justin wollte trotzdem nicht. Da packte ihn der Vater kurzerhand auf die Schultern und mühte sich im Huckepackverfahren die 1,2 Kilometer lange Strecke entlang.

«Vorsichtig Kinder! Die Letzten werden die Ersten sein.»

Nicht besser erging es Seraina und ihrer Mutter. Weil die Erziehungsberechtigte den Startschuss etwas zu wörtlich nahm, packte sie ihre Tochter an der Hand und rannte los wie von der Tarantel gestochen. 75 Meter nach der Startlinie lagen beide auf dem Asphalt.

Die Speakerin mahnte zur Vorsicht. Dies hatte Levin offenbart nicht mitbekommen. Auch er sprintete los, als sei er schon im Schlusssport – mit der Konsequenz, dass er bis zur ersten Kurve (mindestens) drei Massenstürze verursacht hatte. Die Speakerin reagierte bibelfest: «Vorsichtig, Kinder! Die Letzten werden die Ersten sein.»

Powerdancerinnen fürs Aufwärmtraining

Diese Hoffnung hatte auch ich, als ich mich rund zwei Stunden später in den Startbereich in Niederuster stellte. Einen schweren Stand hatten die Powerdancerinnen, die das Laufvolk zum Aufwärmtraining animieren wollten. In der brütenden Sonne tanzten und schrien sie auf dem Podest nach Kräften – und blieben ungehört.

Nur ein tapferer Sportsfreund machte mit voller Innbrunst mit. Die Startnummer entlarvte ihn als den Träger des Namens Helmut.  Die Endzeit von Helmut ist nicht bekannt. Aufgrund der Intensität seiner Vorbereitung ist aber nicht damit zu rechnen, dass er sich für die Olympischen Spiele qualifiziert hat.

Rund 9'000 Läufer:innen

Dies traf auch auf die Mehrheit der rund 9'000 Läuferinnen und Läufer zu, die sich auf den Weg um den zweitgrössten See des Kantons machten. Die Worte von Lauflegende (und Greifenseelauf-Erfinder) Markus Ryffel («Halbmarathon – halbe Distanz, doppeltes Vergnügen») verflüchtigten sich jäh in der flimmernden Spätsommer-Hitze.

Erste fünf Plätze gingen nach Kenia

Vorne lief die Elite in einem Tempo, das dem Feierabendjogger die Sprache verschlug. Und der spätere Blick auf die Rangliste machte deutlich, dass als Vertreter der Rütlischwur-Fraktion an diesem Lauf kein Blumentopf zu gewinnen ist: Die Läufer auf den ersten fünf Plätzen kamen allesamt aus Kenia, gefolgt von zweimal Eritrea, Somalia und nochmals Kenia. Als bester Nicht-Afrikaner lief der frühere Profi-Mountainbiker Florian Vogel auf den 10. Platz – in starken 1:12:41.

Bei den Frauen liefen ebenfalls zwei Kenianerinnen die Konkurrentinnen in Grund und Boden, gefolgt von zweimal Eritrea, Somalia und nochmals Kenia. Als bester Nicht-Afrikaner lief der frühere Profi-Mountainbiker Florian Vogel auf den 10. Platz – in starken 1:12:41. Bei den Frauen liefen ebenfalls zwei Kenianerinnen die Konkurrentinnen in Grund und Boden.

  • Keine(r) zu klein! Bild: Thomas Renggli
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  • Grosse Freude bei den Teilnehmern. Bild: Thomas Renggli
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Fünf Verpflegungsposten

Derweil orientierte sich die breite Masse an den fünf Verpflegungsposten. Der Dank geht an die tadellose Organisation, die mit Wasser und Schwämmen die Hitzesymptome bekämpften – und die netten Anwohner, die mit dem Gartenschlauch parat standen. Davon profitierte auch eine Frau, die in ihrer ersten Karriere zur Weltspitze gehörte – und nun (quasi inkognito) ihrer neuen Leidenschaft frönt: Kunstturn-Europameisterin Ariella Käslin machte auch laufend eine sehr gute Figur. Sie legte die Strecke in respektablen 2:00:04 zurück. 

Am Schluss waren aber alle gleich – als es in Uster zur Kirche hochging. Die geschätzte Steigung von 0,5 Prozent fühlte sich an wie der Kilimandscharo. Die Schritte wurden kürzer – aber die Aussichten doch viel besser. Das Ziel war nun nur noch einen Steinwurf entfernt. Und als einem im Auslauf von einem freundlichen Helfer ein isotonisches Getränk in die Hand gedrückt wurde, waren die Strapazen der vorangegangenen zwei Stunden schon fast vergessen.

Übrigens: Der nächste Greifenseelauf findet am 21. September 2024 statt.

Das Zürioberland24-Team gratuliert Thomas Renggli zu seiner beachtlichen Leistung mit Schlusszeit von 1:52:03.

Redaktor und Läufer Thomas Renggli. Bild: zvg
Thomas Renggli