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Grüningen
15.09.2023
15.09.2023 12:36 Uhr

«Der Gestaltungsplan ist Augenwischerei»

Susanna Jenny setzt sich seit Jahren engagiert für den Erhalt des Tägernauer Waldes ein. (Archivbild)
Susanna Jenny setzt sich seit Jahren engagiert für den Erhalt des Tägernauer Waldes ein. (Archivbild) Bild: zvg
Susanna Jenny aus Grüningen, ehemalige Gemeinderätin und engagiert in der Organisation DepoNIE, kämpft seit der ersten Stunde für den Erhalt des Waldes im Tägernauer Holz und gegen die Deponiepläne des Kantons sowie der ZAV Recycling AG. Im Gespräch mit der Grüninger Post erklärt sie, was ihre grössten Sorgen sind, warum der Gestaltungsplan aus ihrer Sicht reine Augenwischerei ist und was sie sich von der Bevölkerung wünscht.

Hatten Sie Einsicht in den Gestaltungsplan der ZAV?

Nein. Der Gestaltungsplan wurde diesen Mai zur Vorprüfung den zuständigen Ämtern der Baudirektion eingereicht. Der Kanton Zürich muss jetzt seine vom Bundesgericht auferlegten Hausaufgaben machen und die Abfallplanung inklusiv Deponiebedarf aktualisieren. Bis heute arbeitet der Kanton Zürich mit Zahlen aus den 1980er Jahren.

Der Deponieeintrag im Richtplan des Kanton Zürich basiert auf einer regionaler Abfallplanung der Region Pfannenstiel und darauf, dass regional entstandener Abfall, regional abgeführt wird in eine regionale KVA (bei uns die KEZO), dort verbrannt wird und dann regional deponiert werden kann. Dies entspricht aber schon lange nicht mehr den heutigen Tatsachen. Abfall, der schweizweit produziert wurde, wird in alle möglichen KVA (und dazu gehört auch die KEZO) geliefert, dort verbrannt und wo immer möglich und wo die Preise stimmen, deponiert. Das ganze Abfallwesen ist schweizweit vernetzt und bestrebt, für sich ökonomisch die besten Lösungen zu suchen und umzusetzen.

Welches sind Ihrer Ansicht nach die grössten Nachteile oder die grössten Sorgen hinsichtlich der Deponiepläne?

Die grösste Sorge bereitet uns, dass geplant ist, diese zu 100 % im Wald geplante Deponie, entgegen jedem Zeitgeist, umgesetzt werden soll. Waldflächen dieser Grössenordnung dürfen in der heutigen Zeit und mit dem Wissen, wie wichtig jede Waldfläche für unser Klima ist, auf keinen Fall aus ökonomischen Gründen zerstört werden. Damit sind wir beim grösste Nachteil dieser geplanten Deponie. Mit dem geplanten Deponievolumen von 750'000 m3 würde es sich bei der Deponie Tägernauer Holz um eine kleine Deponie handeln, die – gemäss Aussage von Horst Meier der ZAV Recycling AG – nach zehn Jahren ihren Betrieb wieder einstellt.

Anscheinend hat die ZAV es versäumt, eine betriebswirtschaftliche Rechnung zu machen. Sonst hätte sie festgestellt, dass eine Deponie, die nach zehn Jahren voll ist und ihren Betrieb dann wieder einstellt, gar nicht erstellt werden darf, da sie zu wenig wirtschaftlich ist.

Der finanzielle Aufwand, der geleistet werden muss, um eine Deponie betreiben zu können, ist beachtlich. Neue Strassenstücke und Betriebsgebäude müssen erstellt werden, der Waldboden muss grossflächig abgetragen werden, dicke Abdichtungen müssen in der Deponiemulde aufgebracht werden, ein Sickerwassersammler und eine Abwasserleitungen zur ARA erstellt und angeschlossen werden.

Oder plant die ZAV Recycling AG eventuell schon bald eine Erweiterung der Deponie im Tägernauer Holz, so dass das Loch im Wald doch viel grösser wird, als er uns weismachen will? Ist bereits geplant, den Krebsbach, der seit ewig durch dieses Gebiet fliesst und diese natürliche Mulde im Wald erst entstehen liess, mitten im Wald einzudolen und umzuleiten?

Die Deponie Chrützlen in Oetwil am See wurde uns ursprünglich, vor mehr als 20 Jahren, auch einmal als eine Deponie für zehn Jahre Betriebszeit «verkauft». Inzwischen wurde diese Deponie auf das doppelte Volumen erweitert und ist immer noch in Betrieb.

Es macht keinen Sinn, um das Problem des angeblich fehlenden Deponievolumens in Kanton Zürich für die Schlacke der ZAV Recycling AG eine eigene Deponie zu erstellen. Der Aufwand ist weder gerechtfertigt noch nachhaltig. Damit würde nur sehr kurzfristig das Problem entschärft und widerspricht somit den Ausbauplänen der ZAV Recycling AG, die plant, bis 2025 die doppelte Schlackenmenge zu verarbeiten und damit diese auch zu deponieren.

Aktuell wird die Schlacke der Zürcher KVAs verteilt in aktive Deponien im Kanton Zürich, aber auch ausserhalb unseres Kantons. Der Bund begrüsst solche kantonübergreifende, gemeinsamen und langfristigen Lösungen. Es ist unverständlich, dass gerade einer der bevölkerungsreichsten Kantone wie der Kanton Zürich Deponien für Schlacke aus der halben Schweiz erstellen soll.

Stellt man den Bedarf an Deponievolumen in den nächsten Jahrzehnten und den aktuell eingereichten Gestaltungsplan für die Deponie Tägernauer Holz einander gegenüber, ist klar: Es handelt sich bei den vorliegenden Plänen der geplanten Deponie im Tägernauer Holz um reine Augenwischerei.

Gemäss Gestaltungsplan soll der Wald «nur» etappenweise gerodet und vorzu wieder aufgeforstet werden, sodass nie eine so grosse Wunde im Wald klaffen wird, wie das von der Organisation DepoNIE bildlich simuliert wurde. Was sagen Sie dazu?

Ob ein Wald nur etappenweise abgebaut oder umgestaltet wird, spielt im Resultat insofern keine Rolle, dass gewachsener Boden zerstört wird und das auch bleibt. Eine Neuaufforstung ist kein Ersatz.

Zudem ist davon auszugehen, dass auch die neu gesetzten Bäume nicht alt werden, denn es wird das Ziel der ZAV Recycling AG sein, die Deponie nochmals zu bearbeiten, sobald es möglich ist, noch mehr Wertstoffe aus der Schlacke zu gewinnen, was ja sicher eine gute Sache ist und Ressourcen schonen hilft, einer nachhaltigen Wiederaufforstung aber sicher nicht hilft.

Gemäss Plänen der ZAV wird die Deponie in die Landschaft eingefasst, sodass sie aus der Umgebung kaum wahrnehmbar sein wird – auch während der Nutzung nicht. Was sagen Sie dazu?

Unglaublich, eine solche Behauptung aufzustellen. Schauen Sie einmal von Gossau Berg Richtung Tägernauer Holz. Aus diesem Blickwinkel sehen Sie, dass das Gelände des Tägernauer Holz ansteigt. Dadurch wird beinahe jeder fehlende Baum prominent sichtbar. Und die ZAV behauptet, die Deponie sei unsichtbar? Sie würde sich als riesig klaffendes Loch im Wald während Jahrzehnten darstellen!

Eine Deponie ist während ihrer Nutzung auch lärmtechnisch immer in der Umgebung wahrnehmbar. Die Lärmemissionen Richtung Gossau wären während der ganzen Betriebszeit nicht zu überhören. Grosslader müssen die angelieferte Schlacke verteilen, bauen sie im Deponiegelände ein, es wird umgeschichtet, immer wieder verteilt usw. Die Lärmemissionen sind nicht wegzureden und je nach Wind stärker oder weniger stark zu hören. Wir haben diese Lärmemissionen eindrücklich für eine unserer Demos bei einer Deponie während dem täglichen Betrieb aufgenommen und dann abgespielt. Schöne Töne klingen anders.

Gemäss ZAV wird der Wald mit der Aufforstung deutlich aufgewertet.

Was gibt es an einem Wald aufzuwerten? Sein Hauptwert ist es, ein Wald zu sein. Wald ist immer wertvoll mit seinem Mikroklima im Boden und durch seine Vielfalt an Bäumen, Pflanzen und Tieren. Im Tägernauer Holz hat Jakob Bodmer während seiner Zeit als zuständiger Förster eine vielseitige Jungwuchsförderung betrieben und damit diesen Wald bereits aufgewertet und wegweisend in eine gesunde Zukunft geführt. Jeder flächendeckende Eingriff in einen Wald bedeutet erstmals eine Abwertung des Waldes.

Für die geplante Deponie sollen Bäume und Jungwuchs gefällt und 6 ha Waldboden abgetragen werden. Waldboden, der in den letzten Jahrhunderten entstanden ist. Wald und Waldboden sind wichtige CO2- und Wasserspeicher. Als Faustregel gilt: 1 ha (100 x 100 m) Wald speichert 6 Tonnen CO2 pro Jahr. Fast gleichviel CO2 wird pro Kubikmeter Waldboden gespeichert. Somit wird durch die geplante Deponie eine jährliche CO2-Speicherkapazität von 72 Tonnen zerstört.

Die Gegenüberstellung der CO2-Bilanzen (Einsparung durch den kurzen Anfahrtsweg zur Deponie durch LKWs der ZAV Recycling zur verlorenen Speicherkapazität des gerodeten Waldes) zeigt, dass sich die Rodung eines Waldes ökologisch auf keinen Fall rechnet und somit als Argument der Aufwertung hinfällig ist.

Sollte die Gesamtschau Deponien zum Schluss kommen, dass der Standort Tägernau im Richtplan bleibt, was sind dann Ihre nächsten Schritte?

Was unsere nächsten Schritte sind, kann ich Ihnen im Moment noch nicht sagen. Sicher aber ist, dass wir uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten weiter dagegen wehren werden. Dazu gehören, öffentlicher und politischer Druck weiter aufrecht erhalten, indem wir immer wieder mit Aktionen auf unser Anliegen aufmerksam machen. Wir werden, soweit es uns möglich ist, alle unterstützen, die rechtliche Schritte gegen diese Walddeponie unternehmen.

Welche rechtlichen Mittel gibt es und wenn es welche gibt, wie werden Sie diese ausschöpfen?

Im Moment liegen noch nicht alle Fakten auf dem Tisch, die zur Beurteilung des Gestaltungsplanes notwendig sind. Wir werden sehr genau hinschauen, wenn die Gesamtschau des Kantons betreffend Abfallbewirtschaftung veröffentlicht wird. So wie das Projekt im Moment vorliegt, ist mindestens noch einmal ein Gang ans Bundesgericht möglich.

Wie ist der Rückhalt aus der Grüninger Bevölkerung?

Ein Grossteil der Bevölkerung unterstützt uns und ist dankbar, dass wir nicht aufgeben und uns immer noch wehren. Desinteresse gibt es aber auch. Vor allem macht sich Hoffnungslosigkeit und Resignation breit.

Was uns antreibt, uns weiter gegen diese Walddeponie zu wehren, ist, dass der Kanton, die KEZO und die ZAV Recycling AG unseren Wiederstand gegen eine Walddeponie im Tägernauer Holz nie ernst genommen haben. Seit den ersten Plänen betreffend eines Richtplaneintrags wurden unsere Bedenken und unser kategorisches Nein nie ernst genommen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten werden die Einwände und der Wille der Gemeinden Grüningen und Gossau und ihrer Bevölkerung ignoriert. Es wurde nie ein Plan B in ihre Planung erarbeitet. Ein solches Vorgehen ist eine masslose Ignoranz von Volkswille und eine Verschleuderung von Steuergeldern durch Fehlplanung. Es darf nicht zum Erfolg führen.

Welche Unterstützung brauchen Sie aktuell ganz konkret?

Wir brauchen den Support der Politik! Wir brauchen Politikerinnen und Politiker und Personen in den entscheidenden Ämtern, die darauf achten, dass die Gutachten der zuständigen Fachstellen auf langfristiger Nachhaltigkeit basieren und die rechtlichen Grundlagen seriös und ohne Rechtsausdehnung umgesetzt werden.

Wald ist durch das Bundesgesetz über den Wald geschützt. Eine Rodung ist grundsätzlich verboten und gilt auch für vorübergehende Zweckentfremdung von Wald. Nur äusserst wichtige Gründe können diesen Schutz aufheben.

Es darf nicht sein, dass wir aus dem Bundesamt für Umwelt BAFU auf Anfrage und nach Darstellung unseres Falles telefonisch die Antwort erhalten, dass grundsätzlich für das Tägernauer Holz aufgrund der Rechtslage keine Rodungsbewilligung erteilt werden dürfe, man aber nie wisse, wie und wo die Finger aus Zürich in Bern Einfluss nehmen würden...

Was ist Ihre Erwartungshaltung an die breite Bevölkerung?

Macht Druck auf aktive Politikerinnen und Politiker, indem ihr euch klar äussert, dass Wald geschützt werden muss. Organisieren wir Veranstaltungen, freuen wir uns über jede Teilnehmerin und jeden Teilnehmer. Masse erzeugt Druck. Jeder Leserbrief in den Medien hilft uns, dass das Thema Waldschutz aktuell bleibt. Waldschutz ist auch in der Schweiz ein schwieriges Thema, nicht nur am Amazonas. Widerstand gegen Abholzung von Wald muss jetzt stattfinden, nicht erst, wenn die ersten Vollernter im Wald zu hören sind und Bäume unaufhaltsam gefällt werden.

Vor allem von den Grüne-Parteien müssten Sie eigentlich volle Rückendeckung bekommen.

Leider spüren wir vom grünen Regierungsrat Neukom kein Engagement für den Wald. Seine öffentlichen Äusserungen im Kantonsrat bei Debatten über Anfragen von Kantonsräten, übrigens mehrheitlich SVP Politiker, haben mich sehr enttäuscht.

Wie hoch erachten Sie die Chance, dass die Deponie noch abgewendet werden kann?

Wird das Bunderecht zum Schutz von Wald korrekt und gesetzeskonform angewendet und nicht bis an seine Grenzen ausgedehnt, gehen wir davon aus, dass unser Tägernauer Holz auch von unseren Enkeln noch als vollständiger Wald und wertvoller Lebensraum von Menschen, Pflanzen und Tieren genossen werden kann.

Die Menge an Schlacke, die deponiert werden muss, wird in den nächsten Jahren gemäss Prognosen nicht weniger, und sie muss irgendwo deponiert werden. Gibt es konkrete Lösungsansätze, wo die Schlacke der KEZO – statt in der Tägernau – alternativ deponiert werden könnte?

Lösungsansätze zur Deponierung von Schlacke aus KVAs ist Sache des Kantons. Ich gehe davon aus, dass alternative Lösungsansätze bis jetzt nicht ernsthalt angegangen wurden, da ja seit zwei Jahrzehnten stur auf den Standort Tägernauer Holz mit Erweiterungsmöglichkeit gesetzt wurde.

Ob die Prognosen stimmen, dass die Menge an Schlacke weiterhin auf dem heutigen Niveau bleibt, ist eben nur eine Prognose. Dass sich das die KVAs so wünschen, ist klar. Nur so können sie alle wirtschaftlich arbeiten und es wird nicht darüber diskutiert, ob alle im Moment aktiven KVAs weiterhin eine Existenzberechtigung haben oder ob eine davon ihren Betrieb einstellen müsste.

Zu den Prognosen: Eine andere Prognose des Kantons aus den 2010er Jahren sagte als Ziel voraus, dass im Jahr 2025 nur noch 10 % der damaligen Schlackenmenge deponiert werden soll.

Sind Sie der Meinung, dass der Kanton wirklich alle Optionen ausgeschöpft hat, um eine Waldrodung zu verhindern? Oder sind Sie vielmehr der Meinung, dass der Kanton v.a. «den geringsten Weg des Widerstands» geht?

Der Kanton Zürich hat seine Hausaufgaben in Bezug auf die Abfallplanung während Jahrzehnten nicht gemacht. Das Bundesgericht hat das im Jahr 2021 klar festgestellt und den Kanton aufgefordert, dies nun nachzuholen.

Die Rodung des Tägernauer Holzes zur Errichtung einer Schlackendeponie basiert klar aus dem Weg des geringsten Widerstandes, da das Tägernauer Holz Staatswald ist und damit dem Kanton gehört. Somit ist mit keinen Enteignungsverfahren zu rechnen, die Jahre in Anspruch nehmen, bis sie abgeschlossen sind und dabei auch oft noch viel Geld verschlingen.

Was fordern Sie konkret vom Kanton?

Als erstes soll der Kanton die vom Bundesgericht geforderte Aufgabe einer Gesamtschau der Abfallplanung ernst nehmen und diese Aufgabe seriös und nachhaltig durchführen. Gleichzeitig soll endlich ein Plan B als Alternative zur Deponie Tägernauer Holz in Angriff genommen werden.

Weiter auf eine Fehlplanung ohne Plan B zu setzen, verschlingt nicht nur unnötig viel Geld. Diese kleine Walddeponie im Tägernauer Holz, die gemäss ZAV nach zehn Jahren ihren Betrieb wieder einstellen wird, verursacht in einer seriösen Kosten-/Nutzen-Rechnung nur viel Geld und hilft dabei höchstens kurzfristig, das Problem von genügend Deponievolumen für Schlacke nachhaltig zu lösen.

Was ist Ihre Erwartungshaltung an die Gemeinden Grüningen und Gossau?

Wir bitten die Gemeinden und vertrauen darauf, alle möglichen Rechtsmittel zu ergriffen.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Barbara Tudor