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Grüningen
15.09.2023
15.09.2023 07:47 Uhr

Dorfärzte – wie lange noch?

Noch ist die Versorgung in Grüningen sichergestellt.
Noch ist die Versorgung in Grüningen sichergestellt. Bild: mg
In Grüningen kümmern sich zwei Ärzte und eine Ärztin um das Wohl der Bevölkerung. Doch was geschieht, wenn diese in Pension gehen oder wegziehen? Mit dieser Frage hat sich auch der Gemeinderat beschäftigt und eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Zur Diskussion standen die Zukunft der Grundversorgung und ein Ärztehaus im Sinne einer Gemeinschaftspraxis.

Erst kürzlich hat der Präsident der Hausärzte vor einem Kollaps der Grundversorgung gewarnt. Man werde bald nicht mehr genügend Ärztinnen und Ärzte haben, um die Bevölkerung zu versorgen. Das betreffe einerseits die Spitäler, andererseits aber vor allem die Praxen, wo auch die Praxisassistent:innen fehlten.

Noch ist es in Grüningen nicht so weit. Im Gegensatz zur städtischen Bevölkerung, die kaum noch auf Hausärzte zählen kann, haben die Grüningerinnen und Grüninger mit Dr. Carina Luzzi Conti, Dr. Andreas Villiger und Dr. Robert Brunner noch immer Hausärzt:innen im Dorf. Sie kennen nicht nur die Kranken-, sondern auch die Familiengeschichte, haben oft schon die Eltern oder die Kinder behandelt und nehmen sich jedem Patienten und jeder Patientin, ob gross oder klein, mit Einfühlungsvermögen an.

Verschiedene Fachgebiete, eine Gemeinschaftspraxis

Robert Brunner ist bereits pensioniert, arbeitet aber noch in einem 50-Prozent-Pensum. Eigentlich möchte er seine Patientinnen und Patienten weitergeben. Das sei aber fast unmöglich, weil es mittlerweile in Grüningen einen Patientenstopp gebe, weiss Johannes Schlegel, Geschäftsleiter der Spitex Grüningen, der eine Studie zur Gesundheitslage gemacht und zahlreiche Gespräche mit Ärzt:innen und Involvierten geführt hat. Auch Brunners Frau Regula, die ihn schon seit Jahren in der Praxis unterstützt, bestätigt, dass sie Patient:innen immer öfter nach Egg überweisen müssten, weil es in Grüningen keinen Platz mehr gebe.

«Jemand muss gewillt sein, die unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.»
Johannes Schlegel, Geschäftsleiter Spitex Grüningen

Brunner ist überzeugt, dass sich eine Gemeinschaftspraxis mit mehreren Ärzt:innen mit ein bisschen gutem Willen auch in Grüningen realisieren liesse. «Wenn man die demografische Entwicklung anschaut, ist der Bedarf ausgewiesen», sagt auch Schlegel. Die Gemeinde sei daran interessiert, dass die medizinische Grundversorgung im Dorf bleibe. Wenn sich neben Hausärzt:innen auch ein Kinderarzt oder eine Gynäkologin in Grüningen ansiedeln würden, wäre das ein Gewinn.

Auch Anliegen der Gemeinde

Der Gemeinderat habe eine Analyse betreffend die medizinische Grundversorgung erstellt und sich Modelle in anderen Gemeinden angeschaut, bestätigt Gemeinderätin Susanne Gutknecht. Die Gemeinde könne allerdings nur Unterstützung bei der Suche von geeigneten Räumlichkeiten bieten, die Finanzierung und die Leitung müssten von den Ärztinnen und Ärzten übernommen werden. «Jemand muss gewillt sein, die unternehmerische Verantwortung zu übernehmen», sagt Schlegel, denn die Anforderungen an die Ärzt:innen und an das Labor würden ständig steigen. Der zunehmende administrative Aufwand belaste die Ärzt:innen, vor allem auch, weil die entsprechenden Vergütungen nicht mit der steigenden Arbeitsbelastung gleichzögen. All dies mache das Hausarztmodell für angehende Ärztinnen und Ärzte unattraktiver, weshalb sich viele immer häufiger in einem Spezialgebiet ausbilden liessen.

Hausarztmodell unattraktiv?

Man habe es verpasst, rechtzeitig Ärztinnen und Ärzte auszubilden, und habe stattdessen die Zahl der Studienplätze mit dem Numerus clausus begrenzt, sagte Philippe Luchsinger, Präsident der Hausärzte, Ende Juli in einem Interview im «Tages-Anzeiger». Eine zufriedenstellende Versorgung könne man momentan nur hinbekommen, weil viele Hausärzte über das Pensionsalter weiterarbeiten.

Nicht ganz so drastisch sieht es Schlegel. «Wir haben mit vielen jungen Ärztinnen und Ärzten geredet und einige könnten sich vorstellen, in einer Gruppenpraxis in Grüningen zu arbeiten. Je attraktiver so eine Praxis ist, desto einfacher wird es sein, Ärztinnen und Ärzte dafür zu finden.» Ein Beispiel, wie das funktionieren kann, ist die Praxisgemeinschaft Laufenbach in Gossau. Vier junge Ärztinnen, alles allgemeine Internistinnen, teilen sich dort die Räumlichkeiten. Auch in Oetwil gib es ein medizinisches Zentrum mit zwei Ärzten und mehreren medizinischen Praxisassistentinnen. Braucht es in Grüningen also auch noch eine Gemeinschaftspraxis?

«Gerüchte, dass wir unsere Praxisräumlichkeiten verlassen müssten, entbehrten jeder Grundlage.»
Dr. Andreas Villiger

Wilacare als Vorbild

«Die Gemeinde erachtet es als wichtig, dass wir eine gute medizinische Grundversorgung mit einem hohen fachlichen Standard im Dorf haben», sagt Schlegel. Wie so ein Engagement der Gemeinde aussehen könnte, zeige das Beispiel von Wilacare in der Gemeinde Wila, wo in acht Behandlungsräumen eine umfassende Gesundheitsversorgung angeboten wird.

Wilacare ist ein Projekt, das vom Gewerbe, von der öffentlichen Hand und von Aktionären getragen wird. Weil die Suche nach Hausärzt:innen in ländlichen Gebieten oft mühselig sei, sei die Idee, Ärztinnen und Ärzten ein attraktives Arbeitsumfeld zu schaffen, aus der Bevölkerung entstanden, bestätigt Gemeindepräsident Hans-Peter Meier. Die Gemeinde habe sich zusätzlich mit 300 000 Franken aus einem Fonds beteiligt. Jetzt können sich bis zu acht Ärztinnen und Ärzte um das Wohl der 2000 Einwohner:innen von Wila und Umgebung kümmern.

Konzept bereit

In Grüningen sei das Konzept für eine vergleichbare Gemeinschaftspraxis bereit, sagt Schlegel. Noch fehle allerdings eine Persönlichkeit, welche die unternehmerische und finanzielle Verantwortung dafür übernehmen wolle.

Für Dr. Andreas Villiger und Dr. Carina Luzzi Conti ist es zu früh, um zur hausärztlichen Entwicklung und Zukunft in Grüningen eine Prognose abzugeben, weil man noch im Dialog mit der Gemeinde stehe. Gerüchte, dass sie ihre Praxisräumlichkeiten verlassen müssten, entbehrten jedoch jeder Grundlage. «Nach wie vor arbeiten wir jeden Tag mit vollem Einsatz für unsere Patienten und Patientinnen in Grüningen. Daneben werden wir massiv mit Administration zugedeckt, so dass strategische Gedanken über das weitere Vorgehen vorerst kaum Platz finden», formuliert es Villiger.

Martina Gradmann, Redaktion Grüninger Post