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02.03.2023
02.03.2023 16:55 Uhr

«Die Aufnahme von Flüchtenden ist für Gemeinden eine Herausforderung»

Beispiel einer Unterkunft in der Gemeinde Wald ZH. (Archivbild)
Beispiel einer Unterkunft in der Gemeinde Wald ZH. (Archivbild) Bild: Gemeinde Wald ZH
Die Aufnahmequote von 0,9 % beschäftigt die Gemeinden. Zürioberland24 hat sich bei den Gemeinden im Bezirk Hinwil erkundigt, wie sie damit umgehen und ob auch sie bereits Mietverhältnisse auflösen mussten, um Flüchtende aufnehmen zu können.

Vergangene Woche wurde bekannt, dass die Gemeinde Seegräben einem langjährigen Mieter gekündigt hat, um in der Wohnung Asylsuchende unterzubringen (Zürioberland24 berichtete). Die Gemeinde sah sich zu diesem Schritt gezwungen, da sie sonst die vom Kanton vorgegebene Aufnahmequote von 0,9% nicht hätte erfüllen können. Am Montag diese Woche dann wurde bekannt, dass die Gemeinde die Quote bereits erfüllt hatte und die Kündigung nicht nötig gewesen wäre. Die Gemeinde Seegräben hält trotzdem an der Kündigung fest, weil ein weiterer Bedarf absehbar sei.

Zürioberland24 hat sich bei den 10 anderen Gemeinden im Bezirk Hinwil erkundigt und wollte u.a. von ihnen wissen, ob auch sie bereits Kündigungen aussprechen mussten, um die Quote zu erreichen.

Quote erreicht, aber eine Herausforderung

Das wohl Wichtigste vorweg: Keine der 10 angefragten Gemeinden musste bisher eine Kündigung aussprechen, um Platz für Asylsuchende zu schaffen. Bei den allermeisten dürfte dies gemäss Angaben auch nie nötig sein bzw. wäre keine Option.

Die Gemeinde Bäretswil hatte keine Probleme damit, die 45 geforderten Plätze bereitzustellen. «Wir sind aktuell über der Quote. Bei uns leben 50 asylsuchende Menschen statt der vorgegebenen 45», sagt Gemeindeschreiber Andreas Sprenger. In Bäretswil werden Asylunterkünfte, zugemietete Wohnungen, eigene Liegenschaften sowie private Unterbringungs-Möglichkeiten dafür genutzt.

Einer allfälligen Quotenerhöhung scheint die Gemeinde eher gelassen entgegen zu sehen: «Es ist nicht klar, ob die Quote erhöht wird. Wenn ja, schaffen wir Unterbringungs-Kapazitäten, wie dies in den letzten Monaten und Jahren bereits erfolgt ist», so Sprenger.

«Die Schweiz ist für ihre humanitäre Tradition bekannt. Eine Lösung finden wir nur gemeinsam. Schuldzuweisungen helfen nicht weiter.»
Urs Tanner, Gemeindeschreiber von Bubikon

Vorbereitungen für mehr Plätze laufen

In Bubikon hat man 65 der geforderten 66 Plätze erfüllt. Die Asylsuchenden sind in den gemeindeeigenen Asylunterkünften sowie in privat angemieteten Wohnungen untergebracht. Bubikon erachtet die aktuelle Quote als angemessen, befürchtet aber Probleme, wenn sie erhöht wird: «Mit viel Engagement und Glück konnten wir jeweils Unterbringungsmöglichkeiten finden. Die Zahl von Flüchtlingen kann von einer mittelgrossen Gemeinde noch bewältigt werden. Wird die Quote von Seiten des Kantons erhöht, wird die Suche nach neuen Unterkünften zu einer grossen Herausforderung», sagt Urs Tanner, Gemeindeschreiber von Bubikon.

Man bereite sich jedenfalls schon auf eine Erhöhung vor. Urs Tanner: «Wir prüfen aktuell die Möglichkeiten, um zusätzliche Unterkünfte zu schaffen. Dazu gehören private Wohnungen und allenfalls ungenutzte Gewerbeliegenschaften, die neu einfacher ​umgerüstet bzw. bewilligt werden können. Einfach wird das sicher nicht.»

Auch in Dürnten konnte die Quote von 69 Plätzen erreicht werden. Peter Jäggi, Gemeindepräsident von Dürnten: «Wir haben das geforderte Kontingent schon länger erfüllt. Die laufenden Platzierungen durch den Kanton sowie mögliche Familien-Zusammenführungen zwischen verschiedenen Gemeinden können immer wieder zu Schwankungen bei der Kontingentserfüllung führen. Wir nehmen eine hohe Dynamik in diesem Bereich wahr.»

Die Asylsuchenden sind in durch die Gemeinde gemieteten Wohnungen, bei Privaten und in der Asylunterkunft (Wohncontainer) untergebracht. Bei einem anhaltenden Flüchtlingsstrom müssen weitere, tendenziell teurere Wohnungen zusätzlich durch die Gemeinde gemietet werden.

Die Frage nach der Quotenhöhe stellt sich der Gemeinde nicht. «Das ist für uns nicht relevant. Die aufgenommenen Flüchtlinge in der Schweiz müssen gleichmässig auf die Kantone und Gemeinden verteilt werden.»

Mehr Flüchtlingsströme wegen Krieg und Erdbeben

In der Gemeinde Fischenthal sind derzeit 23 (Soll 22) in der Asylunterkunft sowie in Gästezimmern des Gasthauses Blume untergebracht. Auch Fischenthal rechnet damit, dass die Quote erhöht werden wird. «Die Quote, welche im Verlauf des letzten Jahres von 0.5 % auf 0.9 % erhöht wurde, belastet die Ressourcen einer Gemeinde in verschiedener Hinsicht. Es gilt immer, innert relativ kurzer Zeit auf neue Ausgangslagen zu reagieren und pragmatische Lösungen zu organisieren», sagt Barbara Dillier, Gemeindepräsidentin von Fischenthal.

Mit der anhaltenden Kriegssituation in der Ukraine, den Erdbeben in der Türkei und Syrien sei mit weiteren Flüchtlingsströmen zu rechnen. «Dafür müssten dann bald zusätzliche Räumlichkeiten gesucht und bereitgestellt werden», so Barbara Dillier, Gemeindepräsidentin von Fischenthal.

Nur dank Mithilfe von allen

In Gossau ZH konnte die geforderte Anzahl von 92 ebenfalls geleistet werden. Jörg Kündig, Gemeindepräsident von Gossau ZH und Präsident des Verbands der Gemeindepräsidien des Kantons Zürich (GPV): «Die Herausforderung war und ist enorm und dürfte es bleiben, denn es ist nicht absehbar, dass die Anzahl der Schutzsuchenden abnimmt. Es geht einerseits um Wohnraum, andererseits um Einschulung, Betreuung, Suche nach Arbeitsplätzen.»

Einen wesentlichen Beitrag hätten auch die privaten Haushalte geleistet und täten dies immer noch, so Kündig. «Die Privatunterbringungs-Quote in Gossau beträgt beträchtliche 37 %. An dieser Stelle gehört all den Gossauerinnen und Gossauern Dank, die sich engagiert und mitgeholfen haben, die Situation zu bewältigen.» Für Jörg Kündig ist eine Wohnungskündigung zugunsten von Wohnraum für Asylsuchende im übrigen klar «keine Option».

Suche nach mehr Wohnraum geht weiter

Die Unterbringung in Gossau ZH erfolge hauptsächlich in gemeindeeigenen Liegenschaften, in bereits durch die Gemeinde gemieteten Liegenschaften und durch die Umnutzung von gemeindeeigenen Gebäuden, sofern dies technisch und baulich machbar und finanzierbar sei. Die Suche nach Wohnraum gehe weiter. Insbesondere gehe es darum, allenfalls höhere Zuweisungen planerisch vorzubereiten. In diesem Zusammenhang müssen auch kollektive Unterbringungen thematisiert werden.

In Grüningen werden zur Unterbringung der 34 Personen gemeindeeigene Liegenschaften genutzt sowie Wohnraum angemietet. Die Unterbringung sei schon jetzt eine Herausforderung gewesen. Man versuche eine Planung zu machen, was aber nicht einfach sei, da man nicht voraussehen könne, wie sich die Situation entwickle und wie hoch der Bedarf sei.

Zudem sei es sehr schwierig für Gemeinden, Wohnungen für Asylsuchende anzumieten. Die Vorurteile der Vermieter:innen und Bewohner:innen der jeweiligen Liegenschaften seien meist sehr gross.

Hinwil hat 105 Personen gemäss Quote aufgenommen. Auch sie rechnet damit, dass weitere Kapazitäten geschaffen werden müssen. «Aus diesem Grund beobachten wir die Belegung der Kapazitäten sehr genau bzw. haben bereits zusätzliche Kapazitäten geschaffen, welche innert kürzester Zeit hochgefahren werden könnten», sagt Roger Winter, Gemeindeschreiber von Hinwil.

Die Stadt Rüti hat aktuell 115 Schutzsuchende gemäss Quote bei sich aufgenommen. Gemeindepräsidentin Yvonne Bürgin: «Die Aufnahme von Flüchtlingen ist für Gemeinden eine Herausforderung und für kleine Gemeinden ganz besonders. Aus unserer Sicht hat sich die Zusammenarbeit mit dem Kanton und die Vorgabe einer Quote jedoch bewährt. So kann sich keine Gemeinde der Verantwortung entziehen, denn alle müssen einen Beitrag leisten.» Es brauche einen grossen Effort.

Bis jetzt habe man diese Herausforderung gemeistert. «Wir profitieren sicher davon, dass wir bei der letzten grossen Flüchtlingswelle das WohnWerk geplant und gebaut haben. Das gibt uns etwas Spielraum», so Bürgin.

«Der knappe Wohnraum im Kanton Zürich war als latentes Problem der letzten Jahre präsent und die Situation hat sich nun noch zugespitzt. Aktuell sind die Gemeinden mit dieser Problematik ziemlich alleine gelassen und müssen unter Zeitdruck pragmatische Lösungen hervorbringen.»
Barbara Dillier, Gemeindepräsidentin von Fischenthal

10% mehr als gefordert

Wie Bäretswil hat auch die Gemeinde Wald ZH das Soll mehr als erfüllt. Die Gemeinde bietet aktuell 110 Flüchtlingen ein Zuhause (+10 gegenüber Quote). Ernst Kocher, Gemeindepräsident von Wald: «Wir sind in der glücklichen Lage, mit dem ehemaligen Altersheim über eine geeignete grössere Unterkunft zu verfügen. Zahlreiche Gastfamilien haben zudem Geflüchtete aus der Ukraine privat untergebracht. Damit können wir die geforderte Quote gut erreichen.»

Einer allfälligen Quotenerhöhung sieht man in Wald daher eher gelassen entgegen: «Wir werden auch diese wieder stemmen können», so Kocher.

«Diskussion über Quoten nicht angebracht»

In Wetzikon müssen 229 Personen untergebracht werden, tatsächlich seien es aber 231, teilt die Stadt Wetzikon auf Anfrage mit. Die Geflüchteten seien in von der Stadt angemieteten Wohnungen und Häusern untergebracht, rund ein Drittel in privaten Unterkünften. Die Stadt prüfe derzeit weitere Unterbringungsmöglichkeiten in leerstehenden Häusern.

Die Herausforderung, die Quote zu erreichen, sei gross, denn die Stadt Wetzikon habe keine «Plätze auf Vorrat». «Wir bemühen uns um jeden einzelnen Platz», sagt Pascal Bassu, Stadtpräsident von Wetzikon.

Auf die Frage, ob die Höhe der Quote angemessen sei, findet Pascal Bassu klare Worte: «Es ist nicht an uns, dies zu beurteilen. Es gilt, den flüchtenden Menschen einen Platz bieten zu können. Da sind Diskussionen über Quoten nicht angebracht.»

«Die Aufnahme von Flüchtlingen ist für Gemeinden eine Herausforderung und für kleine Gemeinden ganz besonders.»
Yvonne Bürgin, Gemeindepräsidentin von Rüti ZH

«Kein Kommentar» zum Fall Seegräben

Zum Fall in Seegräben halten sich die Kolleg:innen der anderen Gemeinden bedeckt. Man kenne die Ausgangslage nicht im Detail, doch man gehe davon aus, dass der Gemeinderat seinen Entscheid nach reiflicher Überlegung und Prüfung von Alternativen getroffen habe.

Dürnten wird da etwas konkreter: Sie könne den Entscheid der Gemeinde Seegräben nachvollziehen. «Seegräben ist geradezu verpflichtet, die für den Steuerzahler günstigste, vertretbare Variante zu wählen, um den gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen», so Peter Jäggi. Noch seien Wohnungskündigungen in Dürnten kein Thema, könne bei weiteren Quotenerhöhungen aber zum Thema werden.

Auch zur Frage, was die Gemeinden vom Vorwurf der SVP im Bezirk Hinwil halten, dass die Asylpolitik des Bundes gescheitert sei und man die Gemeindebehörden diesbezüglich im Stich lasse, wollte sich kaum eine Gemeinde äussern. Dürnten schreibt dazu: «Mit einer Quote von 0.9 % sollten es die meisten Gemeinden schaffen, das Soll zu erfüllen, auch wenn gewisse Massnahmen unpopulär sind. Problematisch wird es mit jeder weiteren Quotenerhöhungen. Dann werden massiv mehr Gemeinden in Schwierigkeiten geraten und die Quote nicht mehr erfüllen können.»

Fischenthal lässt zumindest den Vorwurf, dass die Gemeinde im Stich gelassen würden, teilweise gelten. Barbara Dillier: «Der knappe Wohnraum im Kanton Zürich war als latentes Problem der letzten Jahre präsent und die Situation hat sich nun noch zugespitzt. Aktuell sind die Gemeinden mit dieser Problematik ziemlich alleine gelassen und müssen unter Zeitdruck pragmatische Lösungen hervorbringen.»

Ernst Kocher aus Wald sagt dazu: «In unserem föderalistischen System sind es letztlich stets die Gemeinden, welche die konkreten Auswirkungen der Entscheide auf Bundes- oder Kantonsebene zu spüren bekommen.»

«Es wünschenswert, wenn der Bund (SEM) seine eigenen Ressourcen wie Liegenschaften, Grundstücke für Unterbringung, Zivildienst für Betreuung etc. einsetzen würde, damit die Aufgabenerfüllung nicht schwergewichtig von den Gemeinden erfolgen muss.»
Jörg Kündig, Präsident Gemeindepräsidien Kanton Zürich

Zusammenarbeit mit Kanton und GPV gut

Die Zusammenarbeit mit dem Kanton beurteilen die angefragten Gemeinden als mehrheitlich positiv. Der Austausch mit der Asylorganisation Zürich (AOZ) funktioniere gut. Auch die Arbeit des Verbands der Gemeindepräsidien (GPV) wird positiv beurteilt. Bäretswil dazu: «Die Zusammenarbeit mit dem Kanton ist OK. Der GPV vertritt die Interessen der Gemeinden gegenüber dem Kanton.»

Urs Tanner von Bubikon sagt: «Die Gemeinden, inkl. der Verband der Gemeindepräsidien, sind mit dem Kanton im engen Austausch. Gemeinsam wird nach guten Lösungen gesucht. Für die aktuelle Entwicklung kann der Bund nicht verantwortlich gemacht werden. Auch auf Bundesebene ist es nicht einfach, die entsprechenden Unterkünfte zu finden und die richtigen Massnahmen zu treffen. Alle Akteure auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene müssen Verantwortung wahrnehmen. Die Schweiz ist für ihre humanitäre Tradition bekannt. Eine Lösung finden wir nur gemeinsam. Schuldzuweisungen helfen nicht weiter.»

In Wald beurteilt man die Zusammenarbeit mit dem Kanton als "OK". «Wir begrüssen ein frühzeitiges Involvieren in Entscheidungen des Kantons», fügt Kocher an.

Jörg Kündig aus Gossau ZH sagt: «Die Zusammenarbeit läuft – auch bezüglich Asylwesen – gut. Es muss darum gehen, die Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen. Allerdings wäre es wünschenswert, wenn der Bund (SEM) seine eigenen Ressourcen wie Liegenschaften, Grundstücke für Unterbringung, Zivildienst für Betreuung etc. einsetzen würde, damit die Aufgabenerfüllung nicht schwergewichtig von den Gemeinden erfolgen muss.»

Folgen bei Nichteinhaltung unklar

Nicht ganz klar scheint zu sein, welche Konsequenzen einer Gemeinde von Seiten Kanton drohen, wenn eine Gemeinde die Quote nicht einhalten kann. Barbara Dillier von Fischenthal sagt dazu: «In diesem Fall würden Zwangszuweisungen vorgenommen.» Zumindest sei dies den Gemeinden so kommuniziert worden. «Wir mussten uns aber mit dieser Frage bisher noch nicht konkret auseinandersetzen, da wir im Moment noch genügend Unterbringungsmöglichkeiten haben – auch im Falle einer Erhöhung des Kontingents.»

Peter Jäggi von Dürnten sagt dazu: «Wir müssten voraussichtlich eine finanzielle Abgeltung entrichten.»

Barbara Tudor