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Grüningen
09.02.2023
09.02.2023 13:07 Uhr

«Die Stedtli-Umfahrung werde ich wohl nicht mehr erleben»

Noch immer rollt der Verkehr durch die enge Strasse im Stedtli.
Noch immer rollt der Verkehr durch die enge Strasse im Stedtli. Bild: Martina Gradmann
Die Euphorie war gross, als der Architekt Santiago Calatrava 2018 sein Siegerprojekt für eine Stedtli-Umfahrung in Grüningen präsentierte. Seither ist viel Zeit vergangen und das Projekt scheint stecken geblieben zu sein. Und es dürfte, wie die «Grüninger Post» erfahren hat, noch weitere Hürden nehmen müssen. Die Regierung jedenfalls will sich nicht auf einen Baustart festlegen. Der Frust bei der Bevölkerung ist gross.

«Stedtli-Umfahrung? Die werde ich wohl nicht mehr erleben», hört man von Stedtli-Bewohnenden auf Nachfragen mit einem zünftigen Schuss Ironie. Doch ums Lachen ist es ihnen nicht. Seit Jahrzehnten haben sie für eine Lösung gekämpft, welche das historische Stedtli vom Verkehr entlasten soll. Denn der ist nicht eben wenig.

Eine Verkehrsplanerin des Kantons Zürich prognostizierte bereits im Jahr 2008, dass bis 2025 täglich 5000 Fahrzeuge durchs Stedtli fahren werden. Das Projekt des Architekten – eine Umfahrungsstrasse mit Brücke über das Aabachtobel, welches das geschützte Ortsbild nicht beeinträchtigen soll – freute die Stedtli-Bewohnenden darum sehr. Doch mittlerweile herrscht bei vielen Ernüchterung. Geht es weiter? Kommt die Umfahrung, wie das eigentlich versprochen wurde?

Begeistert vom Star-Architekten

2018 verkündete die Regierungsrätin Carmen Walker Späh das Siegerprojekt des ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs in der Kirche Grüningen. Die Architektur-Ikone Santiago Calatrava himself war zugegen und stellte den Anwesenden seine Überlegungen zu einer umweltverträglichen Umfahrung vor. Eine elegant geschwungene Brücke soll in einen Tunnel führen und sich optisch in die Landschaft einfügen.

Die Grüningerinnen und Grüninger waren begeistert vom Projekt und vom renommierten Architekten, der sich intensiv mit Grüningen befasst hatte. Sechs bis acht Jahre sollte es bis zur Fertigstellung dauern, doch damit konnten die meisten leben.

  • So soll die Brücke, welche über das Aabachtobel führt, dereinst aussehen. Bild: Calatrava Valls SA
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  • Etwa 220 Meter der Umfahrung verlaufen unterirdisch. Bild: Calatrava Valls SA
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Positive Signale und doch geht nichts

Im Juni 2021 kamen dann wieder gute Neuigkeiten. Auf Antrag der Volkswirtschaftsdirektion hatte der Regierungsrat die Baudirektion beauftragt, ein entsprechendes Vorprojekt zu erarbeiten. Der Lösungsansatz der Calatrava Valls SA überzeuge durch eine sorgfältige Analyse der lokalen Gegebenheiten, eine exzellente Gestaltung und eine sehr gute Einbettung der neuen Bauwerke in die Umgebung, hiess es in der Medienmitteilung.

Da der Durchgangsverkehr über die neue Umfahrung zirkuliere, könne das Stedtli zur autofreien Fussgängerzone mit Anliegerverkehr umgestaltet werden. «Ich freue mich sehr, dass dieses wichtige Vorhaben damit einen grossen Schritt vorankommt», sagte Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh damals. «Mit der Umfahrung kann Grüningen als eines der sechs verbliebenen Zürcher ‹Landstedtli› stark aufgewertet werden. Dafür haben sich die Gemeinde, Anwohnende und Gewerbetreibende seit Jahrzehnten stark engagiert.»

Im Rahmen des Vorprojekts sollte das Vorhaben weiter konkretisiert und die Bewilligungsfähigkeit vertieft abgeklärt werden. Auch die grobe Kostenschätzung von 24 Millionen Franken werde weiter konkretisiert. Der Kredit für das Projekt müsse anschliessend durch den Kantonsrat und im Falle eines Referendums durch die Stimmbevölkerung genehmigt werden.

Ernüchterung vs. Optimismus

Und jetzt? «Wir sind dran», sagt der verantwortliche Projektleiter und verweist auf den Mediensprecher der Baudirektion, Thomas Maag. «Das Tiefbauamt bereitet die Vergabe der Vorarbeiten vor, welche gemäss Submissionsverordnung ausgeschrieben werden müssen», sagt dieser.

«Ich wünschte mir auch, dass es schneller ginge und wir regelmässig über den Stand der Dinge informiert würden. Doch ich bin Optimist und glaube noch immer daran, dass es 2028 mit dem Bau losgeht, sofern das Budget genehmigt wird. »
Carlo Wiedmer, Gemeindepräsident von Grüningen

Versäumnis bei der Ausschreibung?

Dass diese jetzt nochmals öffentlich ausgeschrieben werde, hat laut einem Architekten, der sich mit Wettbewerbsausschreibungen auskennt, wohl damit zu tun, dass bei der Ausschreibung des Architektur-Wettbewerbs nicht definiert wurde, ob der oder die Gewinner/in auch die Ausführung des Projekts übernehmen kann. Deshalb müsse die Vergabe nochmals in einem öffentlichen Submissionsverfahren ausgeschrieben werden.

Wie Santiago Calatrava darauf reagiert, wenn er die Ausführung seiner Projekte nicht selbst übernehmen kann, hat man am Beispiel Stadelhofen gesehen. Es könnte also auch bei der Stedtli-Umfahrung auf ein juristisches Verfahren hinauslaufen. «Das darf doch nicht wahr sein», empört sich IG-Stedtli-Präsident Beat Hofmann. «Es ist nicht das erste Mal, dass der Kanton so etwas macht. Es müsste doch klar sein, dass der Gewinner auch die Ausführungen machen kann, wenn er das möchte.»

Baustart im Jahr 2028?

Dass es jetzt weitere fünf Jahre dauern soll, geht Hofmann nicht in den Kopf. Wahrscheinlich könne er dann mit dem Rollator durch ein autofreies Stedtli spazieren. Gemeindepräsident Carlo Wiedmer ist dennoch optimistisch. «Ich wünschte mir auch, dass es schneller ginge und wir regelmässig über den Stand der Dinge informiert würden. Doch ich bin Optimist und glaube noch immer daran, dass es 2028 mit dem Bau losgeht, sofern das Budget genehmigt wird.»

«Wahrscheinlich kann ich dann mit dem Rollator durch das autofreie Stedtli spazieren.»
Beat Hofman, Präsident IG Stedtli

Drei Kantonsräte, zwei davon aus Gossau ZH, haben vor kurzem eine Anfrage beim Kantonsrat eingereicht. Sie wollen wissen, wie weit die Planung und Realisierung fortgeschritten ist und bis wann das Projekt realisiert werden soll. Es braucht also weiterhin Geduld …

Martina Gradmann