Mich hat zusätzlich zu allen Assoziationen, die sich im Zusammenhang mit den Ereignissen in der Ukraine unweigerlich aufdrängen, besonders die Aussage «Wer stark ist, der gewinnt » angesprungen und zu denken gegeben. Ich stimme ihr zu, insofern es ja tatsächlich so ist, dass vieles durch das «(Un)Recht des Stärkeren» entschieden wird. Zugleich widerspreche ich dieser Sicht der Dinge vom Glauben her mit Vehemenz und hinterfrage kritisch, wer denn wirklich der Stärkere ist: derjenige, der seine Macht (miss)braucht, um den Lauf der Dinge nach seinem Willen zu erzwingen, oder nicht doch, wie wir am Beispiel Jesu sehen, der scheinbar Schwächere, der gerade dadurch überzeugt, dass er seine Anliegen nicht mit Gewalt durchsetzt, sondern es ergebnisoffen darauf ankommen lässt, ob er Menschen für das, was ihm wichtig ist, auf freiwilliger Basis gewinnen kann.
So hat Jesus das Reich Gottes nur gepredigt und nicht etwa mit übernatürlicher, göttlicher Kraft durchgesetzt. Er hat die Menschen stets eingeladen, aber nie «zu ihrem Glück gezwungen». Und am Kreuz hat er das Gotteswort «Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig» am eigenen Leib und Leben existentiell erfahren und bestätigt. Seine Stärke war, die Schwäche zuzulassen, welche der Kraft Gottes Raum gibt. Denn er wusste ganz genau: Aggressive Gewaltanwendung verrät den Schwachen und ist das bevorzugte Mittel der scheinbar Starken, die in Wahrheit die Verlierer sind, wogegen wahre Stärke in der Kraft Gottes liegt, die in den Schwachen mächtig ist. Diese Verheissung tut mir in meiner Schwachheit gut und macht mir Mut, aus dem Glauben zu leben und mich von Gott stärken zu lassen.
Dieser Beitrag ist in der 'Grüninger Post' vom 30. September 2022 im Auftrag der drei Kirchgemeinden von Grüningen erschienen.