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Kommentar
Gossau ZH
30.08.2024
30.08.2024 15:39 Uhr

Fragwürdige (Nicht-)Kommunikation des Gemeinderats

(Symbolbild)
(Symbolbild) Bild: ZO24
Das Magazin «Lutra» des Gemeinderats Gossau ZH kostet den Steuerzahler viel Geld. Unnötig viel, findet Verlegerin Barbara Tudor. Ein Kommentar.

Viele Gemeinden, nicht nur Gossau, sehen sich mit der Tatsache konfrontiert, dass sie ihre Bürgerinnen und Bürger nicht mehr erreichen – oder nicht in dem Masse, wie sie es sich wünschen. Ein sichtbares Zeichen sind die tiefen Teilnehmerzahlen an Gemeindeversammlungen, zu denen jeweils gerade einmal ein bis zwei Prozent der Stimmberechtigten erscheinen.

Früher, als die abonnierte Zeitung ganz selbstverständlich in (fast) jeden Haushalt gehörte, erreichten die Gemeinden die Bevölkerung gut mit amtlichen Anzeigen in der Regional- und Lokalpresse. Heute sieht das anders aus. Die Ende der 90er-Jahre lancierte Gratiszeitung «20 Minuten» und das Internet haben das Leseverhalten massgeblich verändert, die Abozahlen der klassischen Medien sind in den letzten 20 Jahren dramatisch gesunken. Die Gemeinden erreichen mit Inseraten ihre Bevölkerung nicht mehr ausreichend. Sie müssen mit Flugblättern und anderen Massnahmen wie Website und Social Media nachhelfen.

Dazu kommt: Bei der Flut an Informationen über die unterschiedlichsten Kanäle gehen die Meldungen von Gemeindebehörden oft unter. Umso mehr, als die aus der Sache heraus eher «trockenen» Informationen nicht unbedingt zum Lesen einladen. Viel spannender sind da natürlich hippe Meldungen, Fotos und Videos im Newsfeed.

Dass eine Gemeinde wie Gossau ihre Kommunikationsstrategie überdenkt und Massnahmen ergreift, ist absolut legitim und sinnvoll. So wie ein Unternehmen seine Kommunikation laufend den Bedürfnissen der Zielgruppen anpassen muss, so muss auch eine Gemeinde ihre Kommunikation von Zeit zu Zeit überarbeiten. In Gossau umso mehr, als das bisherige Publikationsorgan, das «Gossauer Info», die Herausgabe Ende Jahr einstellt. Ob die Massnahmen, wie sie der Gossauer Gemeinderat nun für teures Geld umsetzt, zielführend sind, wird sich zeigen. Mehr als fragwürdig aber ist das Vorgehen des Gemeinderats in diesem Zusammenhang.

Bevölkerung hatte nichts zu sagen

An der zahlenden Bevölkerung vorbei hat der Gemeinderat im stillen Kämmerlein, ich würde es schon fast als «geheim» formulieren, ein neues Printprodukt konzipiert. Jener Gemeinderat, der den Dialog mit der Bevölkerung angeblich stärken möchte, hat an seiner Zielgruppe vorbeigeplant. Denn dazu gehören nicht «nur» die Gossauerinnen und Gossauer, sondern beispielsweise auch das Gewerbe, die Vereine und die Parteien. Es wäre ein Leichtes gewesen, diese Anspruchsgruppen einzubinden. Doch so viel Dialog wollte der Gemeinderat vielleicht dann doch nicht …

Keine Transparenz im Budget

Als Gossauer Stimmberechtigte finde ich es mehr als störend, dass der Gemeinderat die Kosten für dieses Projekt nicht offen und transparent im Budget 2024 kommuniziert, sondern in einem Sammeltopf verborgen hat. Oder hätten Sie gewusst, dass sich im Budgetposten Konto 12200.3130.00 von total 372'400 Franken mit der Angabe «Zusätzliche Anlässe wie Rad-WM, Energieforum, regionales Turnfest, Workshops neuer Verkehrsrichtplan, neue Infoanlässe Bereich Umwelt, Website und Kommunikationsprojekte Therefore, PopUp Piazza» die Kosten von 170'000 Franken fürs «Lutra» befinden?

«Das Budget für ein Jahr Lutra hätte bei uns vier Jahre lang gereicht.»
Barbara Tudor, Verlegerin

Keine Kommunikation mit Gossauer Verlag

In den letzten Wochen wurde ich als Herausgeberin der Gossauer Post verschiedentlich von Menschen aus dem Dorf, von Gewerbetreibenden und von Parteien auf «Lutra» angesprochen. Die Frage lautete meistens: «Wolltest du diesen Auftrag nicht?» Da braucht es zwingend eine Klarstellung: Obwohl ich mich seit Jahren mit der Gossauer Post und Zürioberland24 (ursprünglich bunts.ch) für den Dialog in der Gemeinde einsetze, wurde ich nie für eine Offerte angefragt. Man hat uns als Gossauer KMU, das Arbeitsplätze in Gossau geschaffen hat und nächstes Jahr sein 10-Jahr-Jubiläum feiert, ganz bewusst ausgelassen. Warum, das hat der Gemeindeschreiber im Juli auf unsere Anfrage hin wie folgt begründet: «Es war ein bewusster Entscheid im Sinne der Medienvielfalt. Die Gossauer Post ist eine unabhängige Zeitung. Sie soll investigativen und meinungsbildenden Journalismus betreiben und vor allem soll sie die Arbeit von Behörde und Verwaltung kritisch verfolgen und bewerten können. Damit die Unabhängigkeit gewährleistet ist, sollte keine Zusammenarbeit mit der Gemeinde bestehen. Eine Mitfinanzierung durch die öffentliche Hand, in welcher Form auch immer, ist konfliktanfällig und ungesund.» Eine interessante Aussage, zumal die Gemeinde genau dies über Jahre mit dem «Gossauer Info» getan hat und dieses auch weiterhin berücksichtigt hätte, würde es nicht eingestellt …

Es geht nicht darum, dass Tudor Dialog GmbH den Auftrag nicht erhalten hat. Jeder Auftraggeber entscheidet frei und aufgrund des am besten geeigneten Angebots, mit wem er zusammenarbeiten möchte. Dass wir als etablierte Gossauer Firma mit ausgewiesener Medienerfahrung schlicht und einfach umgangen wurden und nie die Gelegenheit hatten, zu offerieren, ist gelinde gesagt enttäuschend. Dies auch deshalb, weil wir uns im März 2024, als das «Gossauer Info» Veränderungen ankündigte, aktiv beim Gemeindepräsidenten und beim Gemeindeschreiber schriftlich erkundigt und uns um einen Austausch bemüht hatten. Wir haben nie eine Antwort auf unsere Anfrage erhalten ...

Andere Gemeinden schenken uns ihr Vertrauen: Wir produzieren erfolgreich Lokalzeitungen in enger Zusammenarbeit mit ihnen. Die unabhängige Berichterstattung ist davon nicht tangiert. Schade, dass die Gemeinde Gossau lieber eine Stadtzürcher Agentur berücksichtigt. Schade, dass der Gemeinderat Leistungen teuer einkauft, hätte er es doch mit einer Zusammenarbeit mit der Gossauer Post wesentlich günstiger haben können. Als Vergleich: Das Budget von 170'000 Franken pro Jahr fürs «Lutra» hätte bei der Gossauer Post mindestens vier Jahre lang ausgereicht – inklusive Veröffentlichung der Beiträge auf Zürioberland24 und Anbindung an unsere sozialen Kanäle.

Die Kommunikation der Gemeindebehörden hat wenig mit echtem Dialog zu tun. So hübsch verpackt es auch ist: «Lutra» ist bislang nicht mehr als ein Verlautbarungsheft mit Werbeprospekt-Charakter. Es bleibt zu hoffen, dass sich der Informationsgehalt bei so hohen Kosten in den künftigen Ausgaben merklich steigert – und der Gemeinderat spätestens nach Ablauf der 2-jährigen Testphase noch einmal über die Bücher geht.

Barbara Tudor, dipl. Verlagsfachfrau und Verlegerin